Freitag, 30. April 2010

Immer wieder werde ich gefragt, wie das Leben hier so ist, was gut und was nicht gut ist, ob alles so schlimm ist wie man in Deutschland so hört und liest. Doch was antwortet man in ein paar Sätzen? Gar nicht so einfach. Ich will es heute mal mit einem einfachen Plus/Minus - System versuchen. Also was mir hier ganz gut gefällt: + Das Land ist sicher. Damit meine ich, dass man keine Angst haben muss, persönlich belästigt, ausgeraubt oder angegriffen zu werden. Vielleicht liegt es daran, dass die Strafen für Kriminialität hoch sind. Allerdings merke ich generell auch, dass die Menschen hier sehr freundlich und hilfsbereit sind. Auch auf dem Janadriah-Festival, allein unter Einheimischen, war die Stimmung entspannt und wenn man mich ansprach, so meistens mit einem "Welcome!" oder der Frage, ob man ein Foto von mir machen könne. Gefahr droht höchstens von ein paar kleinen Wüstentieren, von denen sich bei einer Wüstentour eins gleich unter meinem Zelt befand... + Es gibt keinen Alkohol. Damit entfallen auch öffentliche Trinkgelagespuren wie leere Dosen, kaputte Flaschen, Urinpfützen und Erbrochenes, sowie Pöbeleien, Agressivität, randalierende Jugendliche, ... + Das Wetter ist angenehm. Im Winter wird es nachts richtig kalt (bis zum Gefrierpunkt). Momentan ist Regenzeit mit viel Gewittern und Temperaturen um die 25 bis 30 Grad. Selbst wenn es dann ab Mai richtig heiß wird (über 40 Grad), ist es trocken dabei und man schwitzt kaum, da alles gleich verdunstet. Eigentlich erlebe ich ja auch nur ca. 2 1/2 Monate die richtige Hitze hier - Mitte Mai bis Ende Juni und nach den Sommerferien, also von Mitte September bis Mitte Oktober. + Das Leben hier kann billig sein. Abgesehen von Miete und Auto sind die Lebenshaltungskosten recht niedrig. Bei einem Pakistaner esse ich zwei Falafeln und trinke zwei Tee für insgesamt 1,20 Euro. 4 Kornbrötchen kaufe ich für 50 Cent. Steuern gibt es hier nicht. Benzin kostet 25 Cent der Liter. 4-5 Euro zum Volltanken! + Es gibt in den "Carrefour"-Supermärkten nicht nur französische Nahrungsmittel von "Bonne maman" bis "Pain au chocolat", sondern auch arabische Speisen und indische, asiatische bzw. afrikanische Küche. Eine Riesenauswahl! Viele Früchte, Gewürze und Gemüsesorten habe ich noch nie gesehen... + Man ist bei den Sehenswürdigkeiten fast immer alleine. Saudi-Arabien ist nach wie vor kein Touristenland und doch gibt es so viele tolle Sachen zu machen und zu entdecken: restaurierte Forts, alte Felsmalereien, verkommene Lehmstädte, hübsche Tropfsteinhöhlen, Tauchen und Schnorcheln, versteinerte Muscheln, Schnecken, Haifischzähne, Quad fahren in der Wüste, heiße Schwefelquellen, Schwimmen, und und und... + Spezieller Pluspunkt für mich: Das Arbeiten an einer kleinen Schule mit französischem Anschluss, so dass der Schüleraustausch ständig "im Kleinen" organisiert wird (Sportunterricht, Sportfest, Schulfest,...). Negative Dinge gibt es natürlich aber auch. - Der Müll! Viele Ecken im Land sind leider völlig vermüllt. So tolle Landschaften, Seen, Wüsten gibt es hier! Doch:... überall Müll! An einem nahen See haben wir keine einzige saubere Stelle gefunden: leere Plastikflaschen und -tüten soweit das Auge reichte! Aber ich habe Hoffnung: auch in Südfrankreich sah es vor 15 Jahren noch so aus, wenn Ihr Euch erinnert. - Der Verkehr! Hier muss Mann (da Frau ja nicht fahren darf) mit ALLEM rechnen: Gegenverkehr auf einer dreispurigen Straße, Fahren im Dunkeln ohne Licht, Kinder am und hinterm Steuer, sich zu fünft nebeneinander auf drei Fahrbahnen drängeln. Bei Sandstürmen und starkem Regen wirds dabei besonders brenzlig.. Und vielleicht zum Abschluss noch ein paar Denkanstöße: * Eine der fünf Säulen des Koran ist die "Almosensteuer". Und das wird hier wirklich gelebt. Nicht nur am Freitag zur "Prayer time" sieht man Menschen Spenden verteilen. Auch spendet man 3,5% des Jahresbruttogehaltes an Wohltätige, Arme, Bedürftige. Soweit ich das mitbekomme, spendet beispielsweise Prinz Walid 200 Mio Dollar im Jahr, Prinz Talal sammelt Bittschriften der Bevölkerung und versucht viele der kleinen Wünsche zu ermöglichen. Auch König Abdullah führt regelmäßig spezielle Empfänge durch, bei denen man seine finanziellen Wünsche vorbringen kann. Was macht unsere Kirche in Europa, was tun unsere deutschen Politiker? * Saudi-Arabien ist eine Monarchie und wird momentan von König Abdullah regiert (der Familienrat hat Mitspracherecht). Er gilt als sozialer und progressiver Staatsführer. Ist die momentane europäische Demokratie, in der alles zerredet wird, in der vor lauter Kompromissen nichts mehr wirklich voran geht und in der zuweilen die Staatsherrscher korrupt und egoistisch regieren, wirklich der Monarchie vorzuziehen? * Die "Abbaya" der Frau wird hier - ao höre ich immer wieder - von den meisten Frauen nach anfänglicher Skepsis nicht als Einschränkung gesehen, sondern als "praktisch" eingestuft. So muss Frau nicht ständig überlegen, was sie anziehen muss, Frau kann kleckern wie sie will, mann sieht es nicht und die Abbaya schützt auch vor Blicken neugieriger Männer. Außerdem gibt es tolle, sehr modische "Abbayas" (nicht verwechslen mit der Burka!)! Aber die Rolle der Frau soll nochmal irgendwann gesondert Thema hier sein.... Soweit erstmal wieder. Bin auf Reaktionen gespannt ;-) Bis bald, Jörg

1 Kommentar:

  1. Hallo Jörg,

    wenn wir dich bitten, über dein neues Leben zu schreiben, dann erhoffe ich mir jedenfalls genau so einen Text, wie du ihn hier anbietest.
    Das, was DIR bereits als Alltag erscheint, ist für mich fremde Welt.
    Beim Anschauen der Bilder konnte ich fast die Gewürze riechen; Gewürze und Düfte, die für mich einen Großteil der Urlaubseindrücke ausmachen. Somit hast du mich gerade in den Urlaub gebracht ;-)

    Gut zu wissen, dass du dich sicher bewegen kannst und die Menschen positiv auf dich zugehen. Hoffentlich ist das auch in allen Ecken deiner Umgebung so - nicht, dass du mal in die falsche gerätst. Aber die Bilder zeigen, dass du auf jeden Fall die richtigen Ausflugsziele ansteuerst und offensichtlich weiter mit einer schönen Neugier und Aktivität dein akutes Heimatland erforschst.

    Was du in Dinge Politik sagst: Ich bin als Anglist ganz bei dir, wenn man Regierung in Frage stellt - die Monarchie hat sicher ihren Reiz, und in Saudi-Arabien scheint es gut zu funktionieren. Allerdings haben die Saudis ja auch reichlich Geld, das sie locker unter den Armen verteilen können. Wenn man sicher sein kann, dabei nicht über's Ohr gehauen zu werden (wie es ja in Deutschland leider häufig der Fall ist), dann gibt man ja auch gern. Vielleicht könnte man hier die Almosensteuer Hartz V nennen...

    Du schaffst 2 Falaffeln??

    Gar kein Wein für Jörg? Armesje.

    Die Vermüllung... Wäre das nicht eine neue Agenda für den Prinzen? Oder für dich?

    Tankfüllung für 4-5 € - nun ja, das führt eben auch dazu, reichlich Benzin zu verfahren. Wie steht es eigentlich um die öffentlichen Verkehrsmittel? Gibt es das? Nutzt du die? Oder bist du abgeschnitten wie im Odenwald?

    Die kleine familiäre Schule stelle ich mir super vor. Da kann man ja als deutscher Lehrer nur von träumen.

    Die komischen Verkehrsbedingungen kenne ich - in Ägypten wollte ich auch ein Auto fahren müssen. Aber wenigstens dürfte ich dort rein theoretisch ;-)

    Ist die Abbaya Pflicht für die Frauenwelt?
    Was du beschreibst, klingt wie die Argumentation um die Schuluniform. Die Vorteile sind klar ersichtlich. Trotzdem bin ich skeptisch; warum müssen Frauen sich verhüllen? Werden Männer tatsächlich als so urzeitlich eingeschätzt, dass sie eine unverhüllte Frau gleich gierig als Beute ansehen und ihrem Instinkt nachgehen? Hm...

    Es ist 1.Mai; es regnet, der Himmel ist wolkenverhangen, 16°. Grillfeste fallen aus, Fahrradtouren ins Wasser. Die ganze Woche war es schön (warm). Wenigstens machen die Regentropfen auf meinem Dach ein schönes Trommelkonzert.

    Liebe Grüße an einen lieben, vermissten Kollegen!


    Marion

    AntwortenLöschen